Am 29. November 2018 hatte das Offene Bündnis gegen das Cyber Valley zu einer Demonstration durch Tübingen aufgerufen. Auch wir haben, gemeinsam mit vielen anderen Gruppen, den Aufruf unterstützt und uns auf der Kundgebung mit einem Redebeitrag beteiligt, den wir hier wiedergeben:
Hallo und ein herzliches moin moin Ernst Bloch euch allen! Danke an das Offene Bündnis gegen das Cyber Valley, das uns eingeladen hat, hier zu reden, und für die Organisation dieser Demo!
Als Ernst-Bloch-Uni möchten wir die Entwicklungen rund um das sogenannte »Cyber Valley« in den Kontext der fortwährenden Ökonomisierung und Neoliberalisierung der Hochschule stellen. Der sogenannte Bologna-Prozess ab 1999 sollte erklärterweise dazu dienen, die europäischen Bildungssysteme anzugleichen, um so die Mobilität in Europa und Auslandssemester mit Erasmus und ähnlichen Programmen zu erleichtern. Gleichzeitig sollte mit dem Bachelor ein berufsqualifizierender Abschluss nach bereits drei Jahren geschaffen werden. Regelstudienzeiten und der Verlust des Prüfungsanspruchs bei deren Überschreitung sorgten für nie dagewesenen Leistungsdruck im Studium. Auch vorher war nicht alles rosig, die Bologna-Reform kann jedoch als tiefgreifendste Zäsur in der Ökonomisierung der Hochschulen gelten.
Auswirkungen der Reformen waren weniger Wechsel zwischen Hochschulen, größere Konkurrenz, zu wenig Masterplätze, obwohl in vielen Berufen der Master weiterhin der notwendige Abschluss bleibt, Verschulung der Studienabläufe und weniger freie Wahlmöglichkeit – kurz gesagt: die Freiheit, die die Studienzeit zuvor für die meisten bedeutet hatte, wurde drastisch eingeschränkt. Zudem blieben die Erasmuszahlen weitaus geringer als zunächst prognostiziert. Zu sagen, dass die Auswirkungen des Bologna-Systems weit unter den Erwartungen blieb, wäre eine Untertreibung – in Wahrheit bedeutet es für uns alle eine Verschlechterung der Studienbedingungen. Wir sagen: Schluss damit! Für eine solide Grundfinanzierung der Hochschulen! Für mehr Freiheit im Studium – gegen Leistungsdruck und Konkurrenzdenken!
Mit unserem Frust sind wir nicht allein. Tatsächlich erleben wir im hochschulpolitischen Alltag auf allen Ebenen und von allen Betroffenen – den Lehrenden, der Verwaltung und auch den Studierenden – Unverständnis für dieses System des Punktezählens, welches wissenschaftliches Arbeiten und Erkenntnisse zu schnöden Credits und Modulen erklärt, das Forschung von der Gnade von Drittmittelgeber*innen abhängig macht und ein akademisches Prekariat erschaffen hat, das sich von Befristung zu Befristung arbeitet. Gelernt wird nicht mehr, um zu verstehen, sondern nur noch für den Schein. Das schadet den Lernenden, der Universität und letztlich dem gesamten Wissenschaftsbetrieb. Studierende werden damit zu Nummern degradiert, welche das System durchlaufen, abgehakt werden und schließlich einen Abschluss erhalten sollen. Studierende werden zur Ware gemacht. Die geringen Finanzmittel, welche die Universität auf ihre Institute, Seminare und Fächer verteilt, werden aufgeteilt nach Abschlüssen, Leistungszahlen und Kostenfaktoren. Wer zu wenig Abschlüsse produziert, oder zu wenig Anfänger*innen hat, bekommt weniger Geld, und kann so noch weniger leisten.
Doch nicht nur wir Studis sind betroffen. In letzter Zeit wurde wieder viel über die Exzellenzinitiative geredet, bei der die sogenannte »Eberhard Karls Universität Tübingen« drei Cluster gewonnen hat. Jetzt geht es weiter mit der Bewerbung auf den Exzellenzstatus, für den diese Uni mit ein paar Marketingcampagnen möglichst schön dargestellt werden soll.
Dem Rektorat die Tübinger Beteiligung bei der Exzellenzinitative zum Vorwurf zu machen, ist zu kurz gegriffen. Die Exzellenzinitative ist ein strukturelles Problem. Hier gilt Marketing statt Bildung – wer sich dem entzieht, steht im internationale Wettbewerb schlecht da, hat ein schlechteres Image und weniger Geld. Das alles bedroht die Freiheit der Wissenschaft. Ökonomische Zwänge, Marktkonformität und Exzellenzwahn werden zur Triebkraft der Forschung – anstelle von Neugier und wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn.
Die Tendenz, Bildung durch Marketing zu ersetzen, scheint auch in Tübingen Fuß zu fassen. Beim Zeicheninstitut, von Studierenden hochgeschätzt, gibt es jetzt »invited artists« statt einer Leitungsposition. Antragsprosa statt Wissenschaft, Einschleimen bei großen Konzernen, Drittmittelabhängigkeit – das sind hier keine Fremdworte. Damit muss Schluss sein!
Die Uni Tübingen aber ist nicht bloß im System von Ökonomisierung und Neoliberalisierung der Hochschule gefangen, sie ist auch Akteurin. An vielen Stellen verstärkt sie diese Entwicklung unnötigerweise. Wir fordern darum: weniger befristete Stellen im akademischen Mittelbau und die Anerkennung autonomer, selbstorganisierter Studienformen! Auch in vielen anderen Bereichen müssen die Studienbedingungen dringend verbessert werden, von mehr veganem Mensaessen bis hin zu funktionierender studierendenorientierter Prüfungs- und Studiumsverwaltung. Und natürlich: keine Mitwirkung der Uni am Cyber Valley!
Das Cyber Valley soll das Silicon Valley Europas werden. Zu keiner Zeit waren Studierende und hochschulpolitisch Aktive in die Zusammenarbeit zwischen Uni und Cyber Valley eingebunden, nur kurz wurde es überhaupt im Senat erwähnt. Das Cyber Valley ist damit ein Paradebeispiel für eine undemokratische Uni. Eine Uni, die für Studierende eine Lernfarbik und für die Wirtschaft eine Goldgrube ist. Damit können wir uns nicht abfinden! Unser Ziel muss die konsequente Demokratisierung der Bildung sein, die Transformation der Universität in rätedemokratische Selbstverwaltung!
Konkrete Utopien sterben, während allenthalben Ohmacht ob der kapitalistischen Verwertungslogik propagiert wird. Wir wollen aber Teilhabe aller statt dem neoliberalen Gerede von »Chancengleichheit«.