Im Sommersemester 2019 wird es eine von Fachschaften organisierte Vortragsreihe über das von Uni, Stadt, Land und Max-Planck-Insituten geplante »Cyber Valley« geben. Jeden Dienstag um 20 Uhr im altbekannten Hörsaal 21 des Kupferbaus sind Vorträge über Maschinelles Lernen, Amazon, und die Demokratisierung der Uni geplant. Darüber hinaus gibt es einige zusätzliche Veranstaltungen.
23.04. Was ist das Cyber-Valley? Das Projekt, die Debatte und die Vortragsreihe
Ende 2016 wurde die vom Land Baden-Württemberg geförderte Forschungskooperation »Cyber Valley« ins Leben gerufen. Die beiden Universitäten Tübingen und Stuttgart, das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme mit seinen beiden Standorten in Tübingen und Stuttgart, Amazon, der BMW AG, der Daimler AG, IAV GmbH, der Porsche AG, der Robert Bosch GmbH und der ZF Friedrichshafen AG möchten dort gemeinsam über Maschinelles Lernen forschen.
Mit der Bekanntgabe des Projekts regte sich besonders in Tübingen viel Protest gegen das Cyber Valley. Kritisiert wird dabei von vielen die Kooperation mit Amazon, fehlender Wohnraum in Tübingen, der durch noch mehr gut bezahlte Arbeitsplätze noch knapper werden könnte, die Zusammenarbeit mit Firmen, die in der Rüstungsindustrie aktiv sind und ob in solch einem Umfeld tatsächlich ethisch an KI geforscht werden kann. Einen Höhepunkt erreichte der Protest mit der Kupferbaubesetzung Ende 2018.
Auf der anderen Seite verteidigen die Kooperationspartner des Cyber Valleys ihr Projekt – es würden nur wenige neue Arbeitsplätze entstehen, der Wohnraum davon also nicht wirklich beeinträchtigt, man betreibe Grundlagenforschung und hätte zudem eine eigens für das CyberValley eingerichtet Ethikprofessur.
In unserer Vortragsreihe wollen wir uns konstruktiv, aber dennoch kritisch mit einzelnen Aspekte des Cyber Valleys auseinandersetzen. Bevor wir uns diese jedoch genauer anschauen, soll kommenden Dienstag das Projekt Cyber Valley, der Verlauf der Planung sowie die Debatte darüber vorgestellt werden.
30.04. Transparenz und Achtsamkeit als Grundlagen verantwortungsvoller Wissenschaft
Vortrag mit Ralf Streibl.
Wissenschaft braucht Verantwortung – in der Wissenschaft selbst und in der Betrachtung ihrer Auswirkungen. Fortschritte in aktuellen Forschungsfeldern wie z.B. der »Künstlichen Intelligenz« können auch unerwünschte gesellschaftliche Folgen haben oder zu einem problematischen Einsatz der Erkenntnisse führen, u.a. im militärischen Bereich. Wissenschaftler*innen sind gefordert, sich aktiv mit den Ambivalenzen ihrer Fach- und Forschungsgebiete auseinanderzusetzen.
In seinem Vortrag erklärt Ralf E. Streibl, Dozent an der Universität Bremen und Mitglied des »Forum Informatiker*Innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung« (FIfF), warum Transparenz in diesem Prozess eine zentrale Rolle spielt, auf welchen Ebenen die Auseinandersetzung und Positionierung stattfinden kann und muss und warum es so wichtig ist, dass Wissenschaft politisch ist.
In der aktuellen Diskussion über Forschung an künstlicher Intelligenz geht es immer wieder um Transparenz, Verantwortung und die Distanzierung von militärischen Bestrebungen. Wissenschaft – insbesondere in so unberechenbaren Forschungsfeldern wie der Informatik – führt immer wieder zu brisanten Entwicklungen, die auch militärisch oder unmoralisch genutzt werden können.
Freitag, 03.05. ab 18 Uhr in Hörsaal 23: Transhumanismus im Film: Wie Hollywood uns in Cyborgs verwandelt
18 Uhr Filmvorführung, 20 Uhr Vortrag mit Wolfgang M. Schmitt.
Das Science-Fiction-Kino ist ein Versuchslabor, es bereitet uns auf die Zukunft vor. Angenehm wird diese nicht, das deutet sich schon in Filmen wie »Cyborg« mit Jean-Claude Van Damme von 1989 an. Inzwischen ist die Silicon-Valley-Ideologie, die nicht nur eine Optimierung, sondern eine Überwindung des Menschen anstrebt, immer dominanter. Ideologiekritische Film wie »Ex Machina« setzen sich mit dieser Weltanschauung auseinander, die den Menschen in einen Cyborg verwandeln will – gepaart ist dieses Ansinnen nicht selten mit pseudo-emanzipatorischen Bestrebungen, die man bereits in den 1980er-Jahren (etwa im »Cyborg-Manifest« von Donna Haraway) formulierte. Aber Hollywood steht dem Transhumanismus keinesfalls per se kritisch gegenüber, zuletzt haben Filme wie »Lucy«, »Transcendence« oder »Alita: Battle Angel« die transhumanistischen Lehren von Ray Kurzweil und Nick Bostrom affirmativ in Szene gesetzt. Erfindungen aus Science-Fiction-Klassikern wie das Video-Telefon sind längst Realität geworden. Was, wenn das Kino erneut prophetische Qualitäten hat?
Wolfgang M. Schmitt, bekannt durch seinen ideologiekritischen Videoblog »Die Filmanalyse« (youtube.com/filmanalyse), analysiert in seinem Vortrag das Verhältnis von Transhumanismus und Science-Fiction-Film.
07.05. Warum Technik nicht neutral ist
Vortrag mit Dr. Cornelia Sollfrank.
Die Einführung neuer Technologien geht oft einher mit dem Versprechen für eine bessere Zukunft, doch in welchem Interesse werden diese wirklich entwickelt und für wessen Profit? In ihrem Vortrag unternimmt die Künstlerin einen Streifzug durch technologie-kritische Disziplinen wie den Science and Technology Studies (STS) und verschiedenen Technofeminismen und möchte dazu anregen, einen Blick hinter die glatten Fassaden der milliardenschweren Konzerne zu werfen.
Cornelia Sollfrank (PhD) ist Künstlerin, Forscherin und Lehrende und lebt in Berlin. Zurzeit ist sie als Forscherin im Projekt Creating Commons an der Zürcher Hochschule der Künste tätig. Ihr Buch »Die schönen Kriegerinnen. Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert« ist im August 2018 bei transversal texts (Wien) erschienen. Homepage: artwarez.org
14.05. Technik & Herrschaftsfreiheit
Vortrag mit Jörg Bergstedt.
Im Kapitalismus, in der das menschliche Handeln dem Prinzip »Aus Geld mache mehr Geld« unterworfen wird, ist auch die Technik diesem Zweck unterworfen. Nur insoweit sie diesen Zweck unterstützt, wird sie genutzt und weiter entwickelt. Allerdings ist diese menschen- und naturfeindliche Orientierung kein untrennbarer Anteil der Technik selbst, sondern eine Folge der Bedingungen, unter denen sie entwickelt wird. Technikentwicklung nähme in herrschaftsfreien Zeiten eine andere Richtung, weil sie auf anderen Logiken basiert. Realisiert wird, an was Menschen interessiert sind – und zwar von sich aus, nicht aus dem Zwang zur Verwertung oder dem Willen zur Beherrschung anderer. Weil sie ihr Wissen nicht vor Anderen abschotten können, ist jede Erfindung potentiell für alle gut. Und weil das unmittelbar einleuchtend ist, wird auch das Interesse steigen, dass Wissen sich austauscht und verbreitet. Nur unter Profit- und Machtgesichtspunkten ist es vorteilhaft, wenn Wissen gehortet, patentiert oder geheim gehalten wird.
21.05. Das Verhältnis des Kapitalismus digitaler Plattformen zur Singularitätsideologie
Vortrag mit Thomas Wagner.
Im Umfeld von Konzernen wie Google, Facebook und Co. gedeiht eine Ideologie technologischer Machbarkeit. Ihre Anhänger propagieren die Verschmelzung von Mensch und Maschine, spekulieren über künstliche Superintelligenz und träumen von der Unsterblichkeit in der Cloud. En passant ließen sich sämtliche gesellschaftliche Probleme lösen. Fantastische Visionen, irre Ideen. Doch mehr als Hirngespinste: Ihre Propagandisten finanzieren Start-ups, beraten Regierungen, leiten die Labore von High-Tech-Unternehmen und verbreiten ihre Ideen an eigenen Hochschulen. Im Resultat wird die Herrschaft der gegenwärtigen Eliten weiter zementiert. Thomas Wagner porträtiert die wichtigsten Verfechter der Robokratie und legt ihre Verflechtungen offen. Politik, also die Austragung gegensätzlicher Interessen, erscheint im Zeichen elektronischer Vernetzung und künftiger Maschinenherrschaft als überflüssig. Am Ende steht die Frage nach einem demokratischen Gebrauch von Technologie: Damit der Mensch nicht zum Auslaufmodell wird.
28.05. Chinas Social Credit Systeme, Nudging &
Scoring – Überwachung und Kontrolle im Zeitalter der Digitalisierung
Vortrag mit Katika Kühnreich.
Wir hinterlassen Spuren. Mit Smartphones und Smartwatches, beim bargeldlosen Bezahlen und durch Kameraüberwachung des öffentlichen Raumes. Überall im Internet. Aus all diesen Daten werden individuelle Profile erstellt – und seit neuestem auch sogenannte Digitale Gesellschaftliche Bewertungssysteme (Englisch: »Social Credit Scores«).
Katika Kühnreich führt in ihrem Vortrag am Beispiel Chinas durch heute existente Datensammlung und -auswertung, um dann auf unser eigenen Leben einzugehen. Wieviel bleibt von dem Konzept der Privatsphäre, welches als existenziell für die Menschenrechte angesehen wird und was können wir zum Schutz unserer Daten noch tun?
04.06. Was speichert Amazon über seine Nutzer*innen?
Vortrag mit Katharina Nocun.
Jede*r Nutzer*in hat das Recht bei seinen Dienstanbietern eine Kopie seiner*ihrer Daten anzufordern. Doch wer macht das schon? Katharina Nocun hat genau das getan. Das Ergebnis war nicht nur eine intensive und emotionale Brieffreundschaft mit der Datenschutz-Abteilung von Amazon. Das Ganze hat auch sehr viel Datenmüll zu Tage befördert. Amazon schickte eine Tabelle mit den letzten 15.000 Klicks – zu jedem Eintrag gab es bis zu 50 zusätzliche Angaben. Auf den ersten Blick war klar: In diesen Datenbergen lohnt es sich zu wühlen. Amazon weiß, wann wir wo unterwegs waren, wie es um die Qualität unserer Internetverbindung steht, wie es um die Häufigkeit von um Familienbesuchen bestellt ist und und welche Zeitung wir lesen. Der Vortrag erklärt auf unterhaltsame und kurzweilige Weise, was sich aus unserem Datenmüll mit einfachen Mitteln alles herauslesen lässt. Und warum es problematisch ist, wenn Amazon unsere Vorlieben irgendwann besser kennt, als enge Freund*innen.
18.06 Into the Orbits of the Platform Economy: On the Work(ers) of Amazon
englischsprachiger Vortrag mit Sarrah Kassem.
While Amazon.com was established in the mid-1990s, it is over the course of the last few years that Amazon has grown exponentially- expanding in terms of its workforce, its warehouses and physical infrastructure, and finally its products and services. As the shareholders and top executives of Amazon accumulate more and more wealth, it comes at the price of the manual workers. What appears to the customer behind the screen as humanlesss processes – from ordering to receiving a product – is in every way based on the exploitation of these warehouse workers, reminiscent of the heydays of Taylorist factories. This presentation firstly contextualizes Amazon in the wider platform economy, as it is a corporation that has come to dominate and indeed monopolize numerous fields. It then delves into how work is organized in Amazon’s warehouses and how workers organize themselves, in other words – it analyzes the (in)direct power Amazon exerts over its workers and their lives, while shedding light on the agency of workers, the powers they claim and the different forms of labor organization.
Sarrah Kassem is currently doing her PhD at the University of Tübingen in the field of Political Economy, in which she engages with the platform economy and delves into the case of Amazon.
25.06. Software ist Macht: Warum Freie Software wichtig für die Demokratie ist
Vortrag mit Matthias Kirschner.
Im Laufe der Geschichte hat die Technologie die Gesellschaft beeinflusst. Lesen, Schreiben, Mathematik, Landwirtschaft, Buchdruck und Radio sind Beispiele für Entwicklungen, die die Art und Weise, wie wir durch Handel, Kunst und Wissenschaft miteinander umgehen verändert haben. Die wichtigste Kulturtechnologie des 21. Jahrhunderts ist die Software. Durch sie funktionieren unsere Arbeitsplätze, Laptops, Mobiltelefone sowie weniger offensichtlich: Züge, Autos, Fernseher, Waschmaschinen, Kühlschränke und viele andere Alltagsgegenstände. In seinem Vortrag erklärt Matthias Kirschner, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE) was Freie Software ist, warum Software die mit öffentlichen Geldern entwickelt wurde für alle verfügbar sein soll und wie Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft durch Software beeinflusst werden.
Weitere Termine folgen in Kürze