„Der Rektor ist außerordentlich großzügig, heute!“

Am vergangenen Montagabend bekamen wir im Kupferbau überraschend Besuch vom Englerkomitee: In Erscheinung traten neben dem Rektor Bernd Engler höchstselbst, seine Stellvertreterin Karin Amos, Kanzler Andreas Rothfuß, sowie der Leiter der Hoschulkommunikation Karl Rijkhoek. Die kokette Entourage war mit einer Stunde Zeit gekommen, um Redebereitschaft zu signalisieren und für Verständnis zu werben. Besonders Herr zu Engler schien diesem Vorsatz gerecht werden zu wollen und zeichnete sich durch enormen Redebedarf aus. In der Folge fiel ein Großteil der Zeit den englerschen Allüren zum Opfer. Auf die Frage, warum man sich nicht angekündigt hätte, reagierte Herr zu Engler zunächst ausweichend: „Ich habe irgendwo gelesen, dass wir irgendwann erwartet werden.“. Auf erneute Nachfrage schoben Hochwürden Rothfuß nach, man habe auf ein Entgegenkommen der Besetzer*innen gehofft, bevor nun schließlich selbst die Initiative ergriffen worden war. Den Eindruck einer überfallartigen Überrumpelung hingegen habe man nicht erwecken wollen, beteuerten die Hausrechts-Eigentümer*innen. Generell schien man auf Seiten der Universitätsleitung sehr darum bemüht, sich an diesem Abend nach Möglichkeit als kulante Gönner*innen zu inszenieren.

Das cineastische Klimax dieser Selbstinszenierung mündete schließlich in einem Kommentar von Gnaden Rijkhoek, der Herrn zu Englers Zungenschlägen ungläubig gefolgt sein musste und sich zu dem Ausruf verstieg: „Der Rektor ist außerordentlich großzügig, heute!“. Für einen derart selbstlosen Auftritt der Tübinger Eminenzen bedanken sich die Besetzer*innen nachdrücklich! Ein Austausch auf Augenhöhe war in diesem kafkaesk anmutendem Rahmen leider nicht möglich. Allein auf den bemerkenswerten Bedeutungsunterschied der semantisch zunächst ähnlich erscheinenden Vokabeln Besatzer und Besitzer soll in diesem Zusammenhang noch einmal verwiesen werden: Der öffentliche Raum, der jetzt hier im Kupferbau zur kreativen Gestaltung von Diskussionen und kritischer Reflexion über die drängendsten Fragen der Hochschulpolitik und eminente Missstände in der Stadtentwicklung möglich wurde, ist nicht die Folge einer proaktiven Transparenz-Initiative der Universität oder der Stadt Tübingen. Wir haben diesen Raum nicht wegen eines plötzlichen Anfluges vorweihnachtlicher Milde oder Nächstenliebe zuerkannt bekommen. Wir mussten den Raum nehmen, die Intiative ergreifen und Regeln überschreiten. Wir sind Ausdruck eines wachsenden Widerstands gegen eine Politik der Wenigen, die Profite über grundlegende menschliche Bedürfnisse stellt und ihre Verantwortung bereitwillig an beliebige Ethik-Kommissionen abgibt.

Denken heißt überschreiten!

Von der Besetzung zum sozialen Freiraum

Seit Donnerstag haben wir den Hörsaal 21, des Kupferbaus der Universität Tübingen besetzt. Am heutigen Sonntagabend stehen wir kurz davor, dass das von der Universitätsverwaltung gestellte Ultimatum, die Räume bis Montag morgen um 8:00 Uhr verlassen zu haben, ausläuft.

In der Zwischenzeit haben wir eine Vielzahl unglaublich beeindruckender und verbindender Erfahrungen gesammelt. Von einem Protest gegen das geplante Großprojekt Cyber Valley, einer Initiative zur KI-Forschung, mit welcher auch kommerzielle Rüstungsforschung, Forschung zur Grenzabwehr und Überwachung, Gentrifizierung bei ohnehin bereits astronomischen Mietpreisen und durch Unternehmen wie Amazon und SCHUFA Forschung mit dem Ziel der Konsumdatenaufbereitung in Form des Social-Scorings droht wurde ein Protest zur aktiven Gestaltung eines sozialen Raums, der durch die Besetzung zugänglich wurde. Wir haben diesen Raum Initiativen und Bürger*innen zugänglich gemacht, gemeinsam Materialien, Textilien und Texte gestaltet, sowie Vorträge und Diskussionen angeboten. Neben den zahlreichen Solidaritätsbekundung aus der gesamten Republik und auch praktischer Solidarität durch Unterstützung und Teilnahme, zahlreiche Sach-, Geld- und Essensspenden, hat uns besonders beeindruckt und auch nachhaltig geprägt, wie dieser soziale Raum genutzt wurde um uns von Sorgen, Nöten und Bedürfnissen der Menschen in Tübingen zu berichten.

Studierende, Beschäftigte der Universität und Angestellte des universitären Mittelbaus, Bürger*innen des betroffenen Wohnviertels Wanne und auch Professor*innen kamen vorbei, nahmen zu uns Kontakt auf und berichteten von ihren Problemen. Vom Leben in einer Stadt, in der Wohnen für viele nur mit Nebenjob bezahlbar ist, von unbezahlter Arbeit in der Hoffnung einer befristeten Stelle im universitären Mittelbau im nächsten Semester, von den Auswirkungen einer unfreien und vorbestimmten Lehre durch zunehmende Ökonomisierung und Drittmittelabhängigkeit. Doch sie berichteten nicht nur davon, durch die Möglichkeit sich einem Raum selbst und frei zu gestalten, nahmen sie ihre Chance als handelnde Subjekte war. Bereits jetzt haben wir eine Reihe von Angeboten von Menschen in und außerhalb der Universität, die diese neuen Möglichkeiten nutzen möchten und vor anderen Menschen von ihrer Lage berichten wollen oder Vorträge und Vorlesungen anbieten möchten. Diese Probleme, die Bedarfe der Menschen und das Cyber Valley sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Es sind die direkten Auswirkungen der zunehmenden Ökonomisierung von Bildung in einer Universitätsstadt.

Wir wollen bleiben! Wir wollen diesen Freiraum, der sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten kann, die sich selbstermächtigen – nicht aufgeben. Wir wollen diesen Menschen einen Raum und Öffentlichkeit bieten. Uns geht es auch weiterhin um das Cyber Valley, aber die Möglichkeiten, die unsere Protestform mit sich gebracht hat, haben gezeigt es geht um viel mehr. Es geht um die Frage wie wir, dort wo wir leben, leben möchten.

Pressemitteilung vom 2. Dezember 2018

Am Donnerstag, den 29.11., wurde um 20 Uhr der Hörsaal-Komplex ‚Kupferbau‘ der Universität Tübingen besetzt. Überwiegend Studierende protestieren damit gegen das geplante Großprojekt “Cyber Valley“. Das “Cyber Valley“ soll das führende Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (KI) in Baden-Württemberg werden. Dafür wollen sich Großunternehmen, darunter BMW, ZF Friedrichshafen und Amazon, in der Stadt ansiedeln. Auch die Universität Tübingen und das Max- Planck-Institut sind Teil dieser Forschungs-Kooperation. Kritiker*innen befürchten dadurch eine intransparente Verflechtung von privaten, wirtschaftlichen Interessen mit der freien Wissenschaft und fordern eine starke Zivilklausel. Die Besetzung wurde von der Universität Tübingen vorübergehend bis Montag, 8 Uhr geduldet. Über das Wochenende fanden in dem besetzen Gebäude unterschiedliche Informations-Veranstaltungen statt. Für Montag müssen die Demonstrierenden nun die Räumung durch die Polizei befürchten.

Eine Darstellung der Erfahrungen der Besetzenden ist dieser Pressemitteilung beigefügt.

Die komplette Stellungnahme und Liste der Forderungen sind online unter: https://www.blochuni.org/Kupferbau/2018/11/29/es-ist-zeit/

Solidaritätserklärung zur Unterstützung der Besetzung des Kupferbaus

Das Friedensplenum-Antikriegsbündnis Tübingen unterstützt das Bündnis gegen das Cyber Valley, gegen den geplanten Ausbau zum Forschungsverbund für künstliche Intelligenz am Standort Tübingen.  Eine demokratische Kontrolle der Forschungen und der Verwendung ihrer Ergebnisse ist nicht gewährleistet. Durch die an den Planungen beteiligten Firmen und Konzerne  ist auch eine militärische Nutzung der Forschungen zu befürchten.

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Forderungen

→ Kein Cyber Valley in Tübingen!

Die Universität und das Max-Planck-Institut sollen ihre Kooperation mit den beteiligten Akteur*innen beenden. Wir akzeptieren vor allem keine Zusammenarbeit mit Amazon, ZF Friedrichshafen und der SCHUFA.

→ Stärkere Mitbestimmung der Studierenden!

Die Universität muss demokratisiert werden, Studierende müssen bei wichtigen Beschlüssen und Prozessen eine entscheidende Rolle spielen. Wir fordern die Wiederherstellung sämtlicher Mitbestimmungs-, und politischer Rechte aller verfassten Studierendenschaften und studentischer Organisationen.

→ Transparenz der Forschung an der Universität Tübingen!

Wir fordern die Offenlegung aller laufenden und sich in Planung befindenden Kooperations- und Forschungsprojekte an der Universität Tübingen. Erst dann ist eine demokratische Beteiligung der Studierenden möglich.

→ Schluss mit Leistungsdenken!

Ein Studium soll sich an der Gesellschaft, der Umwelt und am Menschen orientieren. Selbstbestimmung und Verantwortungsbewusstsein sind dafür zentrale Voraussetzungen. Insbesondere Zeit und Unterstützung für kritische Reflexion, Beteiligung und politisches Engagement müssen daher gegeben sein.

Weg mit den Bologna-Reformen!

→ Finanzielle Entlastung der Studierenden!

Wir brauchen bezahlbaren studentischen Wohnraum. Alle Studiengebühren müssen abgeschafft werden. Darüber hinaus müssen Studierenden die Lebenshaltungskosten bedingungslos bereitgestellt werden. Wir schließen uns diesbezüglich der Forderung des FZS an.

→ Solide Grundfinanzierung der Uni!

Damit die Forschung sich an gesellschaftlichen Interessen, Werten und Problemen orientieren kann, darf sie nicht auf private Finanzierung aus der Wirtschaft angewiesen sein.

→ Eine starke Zivilklausel!

Keine Forschung für militärische Zwecke, auch nicht verschleiert. Wir fordern eine starke und umfassende Zivilklausel, nicht nur für die Universität Tübingen, sondern für das gesamte Stadtgebiet.

Egal ob Studierende, Beschäftigte der Universität, Schüler*innen oder Bewohnende dieser Stadt: Es geht uns alle an! Kommt vorbei, informiert euch, macht mit und gestaltet den Protest nach euren Vorstellungen und Wünschen – oder zeigt einfach eure Zustimmung. Schließt euch uns an! Besetzt mit uns die Hörsäle in Tübingen und anderen Städten! Offensichtlich müssen wir Regeln übertreten, um gehört zu werden.

 Denken heißt überschreiten!

Heike Hänsel MdB: Solidarität mit den Protesten gegen das „Cyber Valley“

Die Tübinger Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Heike Hänsel begrüßt die Demonstration gegen das geplante „Cyber Valley“ am vergangenen Donnerstag und die anschließende spontane und weiterhin andauernde symbolische Besetzung im Kupferbau der Universität:

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