Rede von Gundi Reck (AStA-Referentin) bei der Begräbnisfeier Ernst Blochs

Ernst Bloch. Neunzigjährig stand er mit geballter Faust vor uns und forderte das politische Asyl für chilenische Flüchtlinge. Seine Worte drückten Alltag aus, einen Alltag von Existenzproblemen, Bedürfnissen, gesellschaftlicher Realität und Hoffnung, diese in gemeinsamen Handeln und gemeinsamer Anstrengung wenigstens teilweise zu lösen. Das war er, wie er sich im feierlichen Rahmen universitärer Festlichkeit gab, als er dafür Sorge trug, daß diese, seine Ehrendoktorwürde, vor allen, die dabeisein wollten, im größten Saal dieser Universität, zum Akt einer politischen Zukunft wurde.

Wir, die Studenten, hatten in ihm den Mitstreiter, aber auch das Vorbild, den mitleidenden Genossen aber auch den Zeitgenossen, der Rat wußte, aber auch Erfahrung gesammelt hatte, der gegen Unrecht und Unterdrückung unablässig protestierte.

Er war es, der in seinem Werk der Geschichte, aber vor allem den kleinen Ereignissen die Differenziertheit abverlangte, den Kern hervorhob, die Dinge beim Namen nannte, um ihrer Widersprüchlichkeit Ausdruck zu verleihen, um die voranschreitenden Tendenzen herauszuarbeiten, um die Hoffnung nach Veränderung zu nähren. Er ließ sich nicht auf Lüge, Feigheit und Verflachung ein, was Unrecht war bleib Unrecht, wo Friede sein sollte wurde der Widerstand benannt, wo Kriege geführt wurden, wurde die Rebellion geehrt.

Ernst Bloch wird in uns weiterleben. Um ihn zu trauern ist das eine, aber sich über ihn freuen, seiner Produktivität und seinem Erbe zu danken, das wichtigere Moment. Unsere Trauer gilt unserer Schwäche, der Aufrichtigkeit so oft aus dem Weg zu gehen, feige zu sein anstelle des Muts, den er von uns forderte, betrübt zu sein, wenn andere von uns es aufgeben, an eine bessere Zukunft zu glauben. Und unsere Trauer muß besonders denjenigen gelten, die versehen waren mit einem Stück Hoffnung, mit einem Akt Aufrichtigkeit, als sie zu Opfern wurden, als sie von unterdrückten Menschen dieses Systems zu Toten eines Gewaltapparats wurden, der seine Funktion in Unterdrückung und Tötung hat.

Wir trauern um Benno Ohnesorg, bei dessen Tod man unseren AStA bestrafte, weil er seiner Witwe Beileid aussprach. Wir trauern um die unzähligen kleinen Leute, die in Kriegen verheizt, durch Polizeikugeln liquidiert, durch die industrielle Maschinerie verstümmelt, durch die Meinungsmanipulation bewußtlos gehalten, durch das System der Profitmaximierung und die Herrschaft von wenigen vergewaltigt werden. Wir trauern um Elisabeth Käsemann, die sich aufgerichtet hatte und deren Ermordung zu gunsten von Fußball und Staatsraison im Lügengewirr und der schamlosen Passivität der Herrschenden unterging.

Ernst Bloch war ein Mann, der uns ein wahrer, das heißt wirklicher Genosse war. Er trauerte mit uns um Holger Meins und war doch so redlich, nicht in blinder Parteilichkeit einer Politik des Unmöglichen nachzuhängen, ebenso wie er nicht bereit war, eine Art Sozialismus zu akzeptieren, die sich dem Kern revolutionären Denkens, der Permanenz kollektiver Selbstverwirklichung, dem Ziel Demokratie, Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit und Freundlichkeit zunehemend verschloss. Er kam in diesen Teil Deutschlands nicht deswegen, wie es die Apologeten der Herrschenden heute ummünzen wollen, weil er aktiv für diesen Staat eintreten wollte, sondern deshalb, weil er ein Getriebener der Mächtigen war, wie es seine gesamte Geschichte beweist.

Wir freuen uns, dass wir sein Vermächtnis erhalten können. Wir freuen uns um so mehr, als wir uns nicht der prestigeträchtigen Heuchelei anschließen müssen, die zwar die Größe und Bedeutung seiner Tätigkeit zu rühmen vorgibt, gleichzeitig aber versucht, sich vom politischen Gehalt derselben zu distanzieren.

Wir wissen, daß seine Position nicht nur Theorie blieb, sondern haben erfahren dürfen, daß er den Kampf gegen die Reaktion immer unterstützt hat. Diese Unterstützung war und ist für uns umso wichtiger, als gerade in dieser Zeit sich Verhältnisse durchsetzen, getragen von einem Staat von Bürgern, die ihre eigenen demokratischen Normen und Ansprüche zweckdienlichst vergessen.

Ernst Bloch hat immer betont, daß der Kapitalismus als Grundübel unerträgliche Zustände schafft, die nur durch praktischen Kampf für eine freie Gesellschaft umgestürzt werden können. Wir werden es uns nicht nehmen lassen, sein Erbe an dieser Universität, die gerade wieder einmal von den Herrschenden weitgehend entrechtet und einer effektiveren Kapitalverwertung zugeführt werden soll, kämpferisch aufzunehmen und weiter zu entfalten.

Gerade in einer Situation, in der es solche Professoren immer weniger gibt, bei den Aufrichtigkeit, Wissen, politisches Denken und Handeln vereint sind wie in der Person Ernst Bloch. Er war einer der letzten Marxisten, die noch lehren durften. Befremdend ist nun, wenn wir sehen, wie diejenigen, die fast verhindert hätten, daß ihm zu seinem neunzigsten Geburtstag die Ehrendoktorwürde zuerkannt wurde, sich nun anschicken sein Erbe zu verwalten.

Ernst Bloch lebt weiter, nicht in den Bilanzen der Bewußtseinsindustrie, nicht in der Heuchelei der Herrschenden und Manipulateure, nicht in privater sondern in revolutionärer Hoffnung. Diese Universität trägt bereits von und für uns seinen Namen. Seine Inhalte werden wir verstärkt durchsetzen. Wir werden einen Anfang machen, wenn wir anlässlich der Feierlichkeiten der Bourgeoisie zur fünfhundertjährigen Unterdrückung von Geist, freier Meinung, radikalen Veränderungsmöglichkeiten und praktischer Hoffnung auf eine neue Gesellschaftsordnung eine Ernst-Bloch-Gedächtnis-Veranstaltungsreihe realisieren werden, die unsere Auseinandersetzung mit Kapital und Staat durch sein Wissen vorantreibt.

Schon heute abend wird der AStA ab 20.30 Uhr vom Holzmarkt aus einen Fackelzug zum Gedenken an unseren Lehrer und Genossen organisieren.

Wir tun dies auch, um Ernst Bloch in Schutz zu nehmen, gegen jene Lobredner, die ihn zu Tode feiern wollen. Nicht nur ihn, sondern auch seine Philosophie. Denn sie haben Angst, daß das Noch-Nicht zur Praxis werden könnte, daß die Zukunft unsere Heimat wird.

Wir nah sind uns manche, die tot sind,
wir fern sind uns manche, die leben.