Stellungnahme zur Podiumsdiskussion „Meinungsfreiheit“ der LHG und des RCDS

Am 23. Januar veranstalten die Liberale Hochschulgruppe Tübingen (LHG) gemeinsam mit dem Ring Christlich Demokratischer Studenten (sic) Tübingen (RCDS) die dritte Podiumsdiskussion ihres Formats „Studentischer Dialog“. Als Gäste eingeladen sind Boris Palmer und Ferdinand Kirchhof zum Thema „Meinungsfreiheit“. Die Hochschulgruppe für eine Ernst Bloch Uni kritisiert: Den Veranstalter*innen geht es um Widerspruchsfreiheit, nicht um Meinungsfreiheit.

Dieses Missverständnis einer „Widerspruchsfreiheit“ als „Meinungsfreiheit“ taucht schon in der Bewerbung der Veranstaltung auf. Dort wird problematisiert, dass Menschen in Deutschland glauben, „man muss aufpassen, was man in der Öffentlichkeit sagt.“ Was hier als Aufhänger für eine kontroverse Debatte dienen will, sollte für demokratische Gesellschaften eigentlich so evident wie selbstverständlich sein: Kämpfen gegen Diskriminierung, insbesondere auch die eigenen diskriminierenden Aussagen und Denksysteme erkennen, reflektieren und ablegen. Ein ‚Das wird man ja wohl noch sagen dürfen‘, als vermeintliche Verteidigung der Meinungsfreiheit, dient dagegen der Rechtfertigung eines Kampfes gegen jede Gegenteilige Meinung. 

Und auch durch die Auswahl ihrer Gäste begünstigen LHG und RCDS dieses Missverständnis. Zum wiederholten Mal laden der RCDS und die LHG Boris Palmer ein, der seit mehreren Jahren durch rassistische und sexistische Äußerungen auffällt. Warum gerade Palmer, der bei der ersten Diskussionsrunde schon als „Experte“ für Sicherheit im Nachtleben seine problematischen Thesen (von den Veranstalter*innen unwidersprochen) verbreiten konnte, nun auch noch zum Thema Meinungsfreiheit als Sachverständiger eingeladen wird, ist nicht ersichtlich. Auch ihre vordergründige Distanzierung im Nachgang der Veranstaltung erscheint vor dem Hintergrund der erneuten Einladung unglaubwürdig: In der Elefantenrunde zur StuRa-Wahl 2019 erklärten die Vertreter*innen beider Gruppen, sie hätten als Veranstalter*innen schließlich keinerlei Einfluss darauf, wie sich ihre Gäste auf dem Podium äußerten, auch wenn sie die Aussagen Palmers bedauerten. 

LHG und RCDS geht es in ihrer Veranstaltung um die Widerspruchfreiheit von Priviligierten: Weiße Männer in autoritären Positionen waren bisher alle, welche die beiden Gruppen zum Dialog einluden. Die Meinung von Menschen, die nicht cis-männlich sind, scheint für RCDS und LHG nicht dialogwürdig. Und selbst wenn Boris Palmer und Ferdinand Kirchhof eine gute theoretische Grundlage zum Thema Meinungsfreiheit vorlegen, sprechen sie doch beide aus individuell extrem priviligierten Positionen. Die an die Wortmeldungen Palmers und Kirchhofs anschließende „offene, moderierte Diskussion“ bleibt so nicht mehr als eine Audienz bei den Entscheidern. Auf diese können wir gerne verzichten. 

Anstatt erneut einen Stichwortgeber der Neuen Rechten einzuladen – ganz explizit wollen wir Herrn Palmer nicht als Rechten verstanden wissen – hätten RCDS und LHG die Chance gehabt, Menschen einzuladen, die tatsächlich für ihre Meinung bedroht werden – durch politische Gegner*innen wie von staatlicher Seite. Etwa den ASTA Hamburg, der für seine Kritik an Prof. Bernd Lucke Morddrohungen erhielt, den ASTA Roststock, der auf den Feindeslisten von Preppern auftauchte, Kurd*innen, die aktuell massiver Repression auch in Deutschland ausgesetzt sind, oder Vertreter*innen von Gruppen wie Attac, der Roten Hilfe oder dem Verband der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten (VVN/BdA), welche durch staatliche Stellen die Arbeitsfähigkeit entzogen werden soll. Sicherlich hätten auch zahlreiche Personen, die auf Grundlage einer mutmaßlichen Teilnahme an beispielsweise den sogenannten K-Gruppen die Ausübung ihres erlernten Berufs verweigert wurde, interessante Gesprächspartner*innen für die Frage nach Meinungsfreiheit geboten. Daran scheinen die Gruppen aber kein Interesse zu haben.

Nun aber, wenn Prof. Lucke und Christian Lindner im TV zur Hauptsendezeit einem mitleidigen Publikum klagen können, dass ihre Vorträge ‚gestört‘ oder gar verhindert wurden, und Rechte bis Rechtsextreme unter dem Deckmantel der „Meinungsfreiheit“ ihre Zigarettenschachtelwelt fordern können, schwingen sich RCDS und LHG zu Verfechtern der Meinungsfreiheit auf – zumindest für weiße cis-Männer.  Eine Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit einiger Mitglieder ihrer Mutterparteien hätte gezeigt, dass staatlicherseits die Meinungsfreiheit immerhin für (ehemalige und neue) Rechte garantiert wird.
Wer die Meinungsfreiheit als bedroht sieht, weil jene, die sich in überregionalen Zeitungen, Facebookseiten mit tausenden Nutzer*innen und mehreren Büchern tagtäglich und ungehindert äußern können, einen anderen Eingang nehmen, einen Auftritt verschieben müssen oder auf Plakaten, Bannern und in Kommentaren Kritik erfahren, verwendet unsere Rechte nur als Waffe gegen den eigenen politischen Gegner.