An welcher Universität wollen wir studieren, lehren, forschen und arbeiten? Und an welcher nicht? Die sogenannte „Eberhard Karls Universität“ jedenfalls hat in 75 Jahren keine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit gesucht, in 543 Jahren Bestehen keine Distanzierung zu ihrem antisemitischen Namenspatron Eberhard im Bart vorgenommen. Daran wollen wir zum 75. Jahrestags der Befreiung Europas von der nazi-deutschen Aggression erinnern.
Antisemitische Tradition
Die Universität Tübingen wurde 1477 vom Antisemiten Eberhard im Barte gegründet. Damit verband der Württembergische Herrscher die Vertreibung aller Jüd*innen aus der Stadt. Diese ‚Tradition‘ brannten sich in Tübingen ein wie eine Wunde. Die Universität wuchs – mit einigem auf und ab – und Studenten organisierten sich selbst, beispielsweise im Verbindungswesen. Diese jedoch waren oft nicht weniger arbeiter*innenfeindlich, sexistisch, antidemokratisch und antisemitisch, als die Väter dieser Universität. Mehrere niedergeschlagene Bauernrevolten, viele Freiwillige im ersten Weltkrieg, die Beteiligung bei der Niederschlagung der Räterepubliken in Bayern, die Schlacht von Lustnau, die Liste will kein Ende nehmen.
Vorkämpfer des Faschismus: die Schuld der Täteruniversität
Gerade die Studierenden waren es, die in den 1920er und 1930er Jahren für die NSDAP warben, die Bücherverbrennungen organisierten, die darauf wirkten, dass Juden nicht an der Universität Tübingen lehren oder lernen können. Tübingen galt den Nazis bald als Vorzeigeuniversität. Schon vor der sog. Machtergreifung hatte es kaum jüdische Professoren gegeben: 1933 vermerkte der damalige Kanzler Hegler, „man habe hier die Judenfrage gelöst, dass man nie davon gesprochen hat“, der Biologe Lehmann 1935 „jüdische Professoren hat Tübingen […] stets von sich fernzuhalten gewusst“. Zahlreiche Wissenschaftler waren bei der Erstellung von Rassengutachten beteiligt. Schon 1934 gründete die Universität ein Rassenkundliches Institut. In ihren Kliniken setzte sie Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein. Mindestens 1158 Zwangssterilisationen, vor allem an als „Zigeunern“ stigmatisierten Menschen, wurden hier durchgeführt.
Ideologische und personelle Kontinuität
All das sollte 1945 am 8. Mai besiegt werden. Eine ernsthafte Auseinandersetzung, die das Attribut „Entnazifizierung“ verdient hätte, fand und findet bis heute aber nicht statt. An der Uni tat man so, als seien die alten Strukturen und Verbindungen verschwunden, die Professoren, die für den Faschismus eingetreten waren, „entnazifiziert“. Tatsächlich konnten die Wissenschaftler*innen an den Universitäten weiterarbeiten, häufig sogar ihre bisherige Forschung ungehindert fortführen, in Tübingen zum Beispiel die Forscher*innen vom Rassenkundlichen Institut. So blieb etwa Sophie Erhardt, die zuvor auch gemeinsam mit dem Tübinger Arzt Robert Ritter am „Institut für Rassenhygiene“ in Berlin mindestens 24.000 Sinti*zze, Rom*nja und andere Menschen, zu „Zigeunern“ erklärte. Für die meisten führte diese Kategorisierung in die Ermordung nach Auschwitz. Erhardt wurde 1950 Dozentin an der Uni Tübingen, übernahm 1955 wieder die Leitung des „Rassenkundlichen Instituts“, das jetzt Anthropologisches Institut hieß, und forschte noch bis 1981 weitgehend unbehelligt und zeitweise auch durch DFG-Gelder gefördert an „Zigeunern“. Tausende „rassenkundliche“ Akten aus dem Berliner Institut blieben in ihrem Besitz, auch nach der Besetzung des Universitätsarchivs durch ein Gruppe von Sintiaktivisten und der darauffolgenden Herausgabe vieler Akten an das Bundesarchiv bleiben diese „Zigeunerakten“ bis heute verschollen.
Fehlanzeige AUfarbeitung
In den vergangenen Jahren gab es zaghafte Versuche eine Aufarbeitung. Diese können aber neben dem Schwergewicht der Selbstpreisung allenfalls ein Feigenblatt sein. So fing man erst nach der Besetzung 1981 an, belastende Materialien auszusortieren, noch bis 1989 wurden in der Medizin Präparate von NS-Opfern als Unterichtsmaterialien benutzt. Die 2002 gegründete Forschungsgruppe „Universität Tübingen im NS“ legte mehrere umfassende Berichte* vor, die allerdings außer einer Ringvorlesung 2015 kaum Folgen hatten, weder inhaltlich noch architektonisch, so ist der Festsaal der Neuen Aula immer noch mit Hakenkreuzen „geziert“ die noch heute Zeugnis des faschistischen Fanatismus der Universität schon vor der sog. Machtergreifung ablegen.
Am 8. Mai feiern wir, dass der NS-Faschismus besiegt wurde. Wir gedenken seinen Opfern vor und nach Kriegsende. Und wir erinnern, was noch getan werden muss.
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
*An dieser Stelle wollen wir auf die wirklich wichtigen und detaillierten Berichte des Arbeitskreises verweisen, die immerhin auf der Website der Uni zur Verfügung gestellt werden: https://uni-tuebingen.de/universitaet/profil/geschichte-der-universitaet/aufarbeitung-ns-zeit/